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Wahlzuckerl: Das „freie Spiel der Kräfte“ ist besser als sein Ruf

Wahlzuckerl: Das „freie Spiel der Kräfte“ ist besser als sein Ruf

Bundeskanzler Karl Nehammer entschied die Türkis-Grüne Koalition bis zum Wahltermin weiterzuführen, da er ansonsten im koalitionsfreien Raum “Milliarden an Wahlzuckerln” befürchtet. Eine Analyse des Momentum Instituts auf Basis der Fiskalrat-Analyse zeigt: „Wahlzuckerl“ seit 2019 entlasten Personen mit geringem Einkommen am stärksten - bis heute.

In der Analyse des Fiskalrats (2024) zu den sogenannten „Wahlzuckerl“ werden die budgetären Kosten aufgezählt. Die gleichen analysierten Maßnahmen zieht das Momentum Institut heran und unterzieht sie einer Verteilungsanalyse. Helfen die Parlamentsbeschlüsse den Ärmsten im Land, oder jenen, die hohe Einkommen beziehen? Es fällt auf: Gerade während des „freien Spiels der Kräfte“, sprich im koalitionsfreien Raum, hat der Nationalrat Abgaben gesenkt und Ausgaben beschlossen, die das Einkommen der Haushalte mit geringen Einkommen deutlich mehr erhöht haben als jenes der Gut- oder Topverdiener:innen.

„Wahlzuckerl“ 2019: Personen mit geringem Einkommen am stärksten entlastet

Den letzten koalitionsfreien Raum gab es im Jahr 2019, als in Folge des „Ibiza-Videos“ die türkis-blaue Koalition platzte. Die damals beschlossenen Maßnahmen wirken bis heute. Der Nationalrat verabschiedete etwa eine Valorisierung des Pflegegeldes oder die Erhöhung von Steuerabsetzbeträgen für Arbeitnehmer:innen und Pensionist:innen. Eine Verteilungsanalyse – wer profitiert wie stark von den Maßnahmen – lässt sich für 80 Prozent des verteilten Budgets im „freien Spiel der Kräfte“ 20191 erstellen. Die beschlossenen und analysierten Maßnahmen umfassen ein Volumen von 1,72 Milliarden Euro. Die Analyse zeigt: Untere Einkommensschichten entlastet das „freie Spiel der Kräfte“ von 2019 heute noch am stärksten. Für Haushalte im ärmsten Einkommensfünftel2 bedeuten die 2019 beschlossenen Maßnahmen im Jahr 2024 ein um 1,5 Prozent höheres Einkommen. Im einkommensreichsten Fünftel der Haushalte beträgt der Einkommensgewinn im Jahr 2024 0,5 Prozent. Grundsätzlich gilt für die Summe der Maßnahmen: Je weniger Einkommen ein Haushalt hat, desto höher ist sein Einkommenszuwachs relativ zum Einkommen davor. “Die Verteilungswirkung der Wirtschafts- und Sozialpolitik während des freien Spiels der Kräfte ist ausgezeichnet. Das Geld kommt bei den Menschen an, die es am meisten brauchen”, so Jakob Sturn, Ökonom am Momentum Institut.

„Freies Spiel der Kräfte ist besser als sein Ruf“. Relativer Einkommenszuwachs pro Kopf im Jahr 2024 durch „Wahlzucker“ vor NR-Wahl 2019

Maßnahmen seit 2008 zeigen ähnliches Bild

Eine Einschätzung aller Maßnahmen, die 2008, 2013, 2017 und 2019 im „freien Spiel der Kräfte“ oder kurz vor einer Nationalratswahl von Bundesregierungen beschlossen wurden, bestätigt das Bild. Dafür ordnet das Momentum Institut die Mehrheit der Maßnahmen anhand von Studien, eigenen Simulationen oder Einschätzungen jenen Haushalten zu, die davon am meisten entlastet wurden. In der Analyse werden die Haushalte nach ihrem Einkommen in drei Drittel – niedrige, mittlere und hohe Einkommen gegliedert. Das Ergebnis: Drei Viertel der getroffenen Maßnahmen richten sich an das ärmste Drittel – Menschen mit niedrigen Einkommen – oder an die ärmsten zwei Drittel (niedrige und mittlere Einkommen). Ihre Einkommen werden in Relation zu ihrem bisherigen Einkommen vor der Maßnahme am stärksten gestützt.

Wer vom freien Spiel der Kräfte im Parlament profitiert. Zahl der Wirtschaftsleistung- und sozialpolitischen Maßnahmen, die Haushalten mit niedrigen, mittleren oder hohen Einkommen am stärksten zu gute kamen

Von insgesamt zwanzig Beschlüssen entlasten vier am stärksten das untere Einkommensdrittel. Neun Beschlüsse bringen den Haushalten mit niedrigen und mittleren Einkommen am meisten. Zwei Beschlüsse fokussieren auf das mittlere Drittel. Drei Beschlüsse kommen überwiegend den Haushalten mit mittleren oder hohen Einkommen zugute, und von zwei Beschlüssen profitiert das einkommensreichste Drittel.

Wirtschaftspolitik von Koalitionsregierungen nicht zwingend nachhaltiger

Die oftmals geäußerte Kritik, dass im freien Spiel der Kräfte keine Gegenfinanzierung stattfand, ist richtig. Doch diese Kritik gilt auch für viele Maßnahmen von Koalitionsregierungen. Die aktuelle Bundesregierung hat kaum eine Gegenfinanzierung für ihre Ausgaben beschlossen. Während sie in ihre aktuelle Regierungszeit mit einem gesamtstaatlichen Überschuss 2019 von 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts startete, beendet sie ihre Legislaturperiode 2024 mit einem Defizit von voraussichtlich über drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP).3 Insgesamt ergibt das einen Unterschied von bis zu vier Prozentpunkten – je nach Prognose genau vier Prozent des BIP oder minimal darunter. Die gesammelten beschlossenen „Wahlzuckerl“ machen lediglich ein Prozent des BIP aus. “Die Wirtschaftspolitik von nur einer Bundesregierung ist also viel entscheidender für die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen als alle bisher beschlossenen Maßnahmen kurz vor den vier Wahlen zusammengerechnet”, so Sturn weiter.

Dazu kommt: Die Verteilungswirkung der Maßnahmen von Koalitionsregierungen ist oftmals etwas einseitig. Große und teure Brocken der wirtschaftspolitischen Maßnahmen der aktuellen Bundesregierung kommen Besserverdiener:innen und Eigentümer:innen großer Unternehmen zugute. Während der Corona-Pandemie resultierten – soweit aus bisherigen Analysen bekannt – rund die Hälfte der staatlichen Ausgaben für Unternehmen in einer Überförderung. Sprich statt Verluste zu decken, wurden Gewinne subventioniert. Vom Abgelten der kalten Progression profitieren wiederum die mittleren und oberen Einkommen – relativ zum Einkommen – am stärksten. Die Senkung der Gewinnsteuer für Unternehmen (KÖSt) ist besonders konzentriert auf die reichsten Eigentümer:innen von Unternehmen verteilt: Die größten drei Prozent der Unternehmen nach Gewinn erhalten drei Viertel der Körperschaftsteuer-Senkung. Auch vom Kürzungspfad der Beiträge der Unternehmen zum Sozialstaat (“Lohnnebenkosten”) seit 2014 profitierten die größten Unternehmen des Landes (nach Lohnsumme) am stärksten: An nur ein Hundertstel aller Unternehmen ging knapp die Hälfte (47,6 Prozent) der Senkung.

Fußnoten
1 Laut Fiskalrat machen die „Wahlzuckerl“ 2019 den Großteil aller „Wahlzuckerl“ von 2008, 2013, 2017, und 2019 aus, nämlich 2,15 Milliarden von 3,85 Milliarden. Für 80 Prozent dieser 2,15 Milliarden, also 1,72 Milliarden, lässt sich eine Verteilungsanalyse durchführen. Methodisch wird dafür angenommen, dass die damals beschlossenen Maßnahmen im Jahr 2024 neu eingeführt werden (und es sie davor nicht gab).
2 Für die Zuteilung einer Maßnahme zu einem Einkommensfünftel ist das Pro-Kopf-Nettoäquivalenzeinkommen ausschlaggebend. Damit ist das Haushaltseinkommen dividiert durch die gewichtete Haushaltsgröße gemeint. Dem ärmsten Fünftel gehören jene Haushalte an, deren Pro-Kopf-Nettoäquivalenzeinkommen unter 1.376 Euro liegt. Zum einkommensstärksten Fünftel gehören Haushalte, in denen das Pro-Kopf Nettoäquivalenzeinkommen 5.166 Euro übersteigt.
3 Mit Stand Ende Juni prognostiziert der Fiskalrat ein gesamtstaatliches Budgetdefizit in Höhe von 3,4 Prozent, das WIFO 3,2 Prozent, und die Nationalbank 3,1 Prozent.