Zahl der Mangelberufe explodiert

Die Zahl sogenannter Mangelberufe, für die Unternehmen auch außerhalb der EU Arbeitskräfte rekrutieren dürfen, hat sich seit 2016 fast verfünfzehnfacht, zeigt eine aktuelle Auswertung der sozialliberalen Denkfabrik Momentum Institut. Für 2022 hat der Arbeitsminister nun 118 Berufe auf die Liste gesetzt, darunter Tischler:innen, Installateur:innen, Köch:innen und Dachdecker:innen. 2016 waren es acht Berufe. Eine Analyse von Arbeitsmarktdaten zeigt zudem, dass unter den Mangelberufen besonders hohe Anteile von Leiharbeit und saisonalen Kündigungen vorliegen. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen könnte daher zur Attraktivität der Berufe beitragen.

Ein Hauptgrund für den starken Anstieg der Mangelberufe ist die seit 2019 bestehende Möglichkeit, „regionale“ Mangelberufe zu definieren: Gibt es in einem Bundesland für eine offene Stelle einer Berufsgruppe weniger als 1,5 Arbeitslose, dürfen für diesen Beruf Arbeitskräfte aus Drittstaaten angeworben werden. Dabei bleibt außer Acht, wie viele Arbeitslose es in anderen Bundesländern gibt.

Österreichische Betriebe haben die Möglichkeit, aus dem gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Arbeitskräfte einzustellen, einer Region mit mehr als 500 Millionen Einwohner:innen von Portugal bis Bulgarien. „In vielen dieser Länder ist das generelle Lohnniveau deutlich niedriger als in Österreich. Finden Betriebe selbst dort niemanden mehr für ihre Jobangebote, so müssten sie diese eigentlich nachbessern. Sie könnten Löhne erhöhen oder Arbeitsbedingungen verbessern. Das wäre die erwartbare Reaktion“, erläutert Momentum-Arbeitsmarktökonom Mattias Muckenhuber. Hilfreich sein könnten ganzjährige Beschäftigungsmodelle oder familienfreundliche Arbeitszeitmodelle für die Beschäftigten. Das kann Fachkräfte motivieren, sich für Mangelberufe zu bewerben oder in ihren ursprünglich gelernten Beruf zurückzukehren.

Eine Ausweitung der Mangelberufe ändert hingegen die Spielregeln. Weil Betriebe Arbeitskräfte aus Drittstaaten mit noch niedrigerem Lohnniveau anwerben können, behindert die Mangelberufsliste die notwendigen Anpassungen auf dem Arbeitsmarkt.

Hoher Leiharbeits-Anteil bei Mangelberufen

Im Bundesländer-Vergleich ist die Zahl der Mangelberufe in Oberösterreich am größten, im Burgenland am niedrigsten, zeigt die Statistik. Bei einem großen Teil der offenen Stellen in Mangelberufen handelt es sich jedoch um Leiharbeitsstellen. In der Hälfte der Berufe war 2021 mehr als eine von drei offenen Stellen im Leiharbeitssektor angesiedelt. In einzelnen Berufen sogar mehr als jede zweite Stelle (z.B. Schlosser:in 53 %; Maschinenbautechniker:in 66%).

Leiharbeitskräfte erfüllen für Unternehmen eine Pufferfunktion. Für Betroffene ist Leiharbeit aber oft mit prekären Arbeitsbedingungen verbunden. Die Hälfte der Leiharbeitskräfte ist nicht länger als 2 Monate beim selben Unternehmen beschäftigt. Jede zehnte berichtet, bei Krankheit zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gedrängt worden zu sein.

Mangelberufe sollten letztes Mittel sein

Das Momentum Institut empfiehlt, Berufe nur dann auf die Mangelberufsliste zu setzen, wenn in den Vorjahren eine deutlich überdurchschnittliche Lohnsteigerung im betroffenen Beruf ablesbar war. Eine weitere Voraussetzung vor einer Suche in Drittstaaten sollte sein, dass das Unternehmen bereits aktiv mehr Lehrlinge im eigenen Betrieb als früher ausbilden. „Die Definition als Mangelberuf sollte das letzte, nicht das erste Mittel der Wahl sein, um den Arbeitskräftebedarf zu decken. Sonst behindert die Liste die notwendigen Anpassungen bei Löhnen und Arbeitsbedingungen am Arbeitsmarkt“, erklärt Muckenhuber.

Das Bundesministerium für Arbeit veröffentlicht jedes Jahr gegen Jahresende die Fachkräfteverordnung, mit der die sogenannten Mangelberufe für das nächste Jahr festgelegt werden. Steht ein Beruf auf der Mangelberufsliste, dürfen Unternehmen Arbeitskräfte auch außerhalb des EWR anwerben.